
Heute möchte ich etwas über das Phänomen des „Sündenbocks“ schreiben. Diesen Begriff kennen wir aus biblischen Auszügen, aber auch aus dem Alltag. Tatsächlich kommt er aus dem hebräischen und steht für ein altes Ritual. So hatte man einmal im Jahr einen Ziegenbock ausgewählt und auf dessen Haupt symbolisch alle Sorgen und Sünden der Menschen abgeladen. Das Tier wurde sodann in die Wüste gejagt und die Menschen lebten - zumindest eine Zeit lang - frei von Schuldgefühlen, Ängsten etc. Bis es wieder einmal soweit war, einen anderen Ziegenbock auszuwählen.
Der Sündenbock als heimlicher Retter des Teams
Dahinter steht wohl der Gedanke als auch die Hoffnung, für unsere Fehler, Verfehlungen etc. nicht verantwortlich sein zu müssen und dass dies ein Anderer für uns übernehmen könnte. Tja, und genauso wenig, wie ein Ziegenbock unsere Vorfahren retten konnte, genauso wenig gelingt es bei einer Gruppe, bzw. in einem Team auf der Arbeit, wenn Konflikte unterhalb der Oberfläche schwelen. Denn genau dann, wenn eine Arbeitsgruppe Konflikte hat, die sie nicht lösen kann oder möchte, passiert es oft, dass, anstatt das Problem zu lösen, ein Sündenbock ernannt wird. Dieser muss für alles herhalten, was falsch gelaufen ist. Der Konflikt schwelt zwar immer noch im Untergrund, aber zunächst können alle auf einen zeigen und sich damit Luft verschaffen. Das ist selbstverständlich ungerecht und unfair, doch für die Gruppe selbst ein gutes Ventil um Druck und Unzufriedenheit auf jemand anderen abzuwälzen. Es ist kein guter Weg, doch ist dies leider - obwohl wir in einer aufgeklärten Welt leben - häufig beobachtbar und wird dennoch selten thematisiert.
Meist bildet ein systemisches Problem die Grundlage
Häufig handelt es sich um ein systemisches Problem das den Nährboden für solche Entwicklungen bietet. Und nicht selten sind diese Spannungen und Konflikte überhaupt nicht im Team entstanden, sondern sie bilden eine Verlagerung ungelöster Probleme aus der Führungsebene ab. Das macht es dann doppelt schwer. Denn als Führungskraft haben Sie die Aufgabe, sicherzustellen, dass eben nicht der Sündenbock wie der Ziegenbock aus früheren Jahren, in die Wüste geschickt wird, um die anderen von Schuld und Buße freizusprechen.
Erschwerend kann folgender Stolperstein hinzukommen: Denn was ist, wenn tatsächlich das Problem in der Führungsebene entstanden ist? Wer von den Führungskräften möchte sich selbst gerne als Mitverursacher des Problems enttarnen? Und sind alle - persönlich und von der Firmenkultur heraus - so stark, eigene Fehler zuzugeben?
Der "Aufklärer" als Prügelknabe
Eine weitere spannende Dynamik, ist zu beobachten: Selbst wenn der Mensch nun nicht zu den Mitverursachern gehört und eine „reine Weste“ hat - wird ihm, der diesen Konflikt aufdecken und Klarheit hereinbringen soll, nicht selten eine unliebsame Rolle zuteil: nämlich häufig die des Prügelknaben. So ist es geläufig, zu unterstellen, die Probleme seien erst durch das Nachhaken und Herumstöbern des „Aufklärers“ entstanden.
Ja Sie sehen, es ist nicht so ganz einfach, auch wenn wir das alle gerne hätten. Dennoch sollte dieses Thema innerbetrieblich bzw. in der Abteilung, im Team, unbedingt bearbeitet werden. Denn die Komplexität und die negativen Auswirkungen ändern sich nicht, wenn wir es wie die drei Affen halten: Ich sehe nichts, ich höre nichts und ich sage nichts.
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Es gibt kein Patentrezept - außer Empathie & Verstand
Egal wie schwierig es ist, es muss klar sein: Die Rolle des Sündenbocks ist entwertend, denn das natürliche Bedürfnis, ein Teil der Gemeinschaft zu sein als auch die Anerkennung, die für Menschen in Unternehmen sehr wichtig ist, wird verletzt und mit Füßen getreten. ....
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© Martina M. Schuster
Bilder: Canva
P. S. Um des Leseflusses willen, habe ich mich meist der maskulinen Anrede bedient. Dies soll in keiner Weise uns Frauen ausschließen., sondern bezieht alle Menschen - geschlechtsunabhängig mit ein.
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Heinz M. (Mittwoch, 22 März 2017 13:31)
super klarer Artikel. Macht Mut und man fühlt sich nicht alleine. :)
anonymus (Mittwoch, 22 März 2017 15:02)
ich bin ein "bauernopfer" aus der Führungsriege und musste genau wie sie schreiben, einem dauerhauften konflikt in einem projekt auf den kern gehen... der konflikt wurde von meinen vorgesetzten letztendlich und ursächlich gelegt und deshalb musste ich gehen. manchmal bleibt nur der weggang, der weg der wiedereingliederung ist - gerade auf führungskraftseite - meist nicht möglich. zur absicherung dienen hier jedoch entsprechende vertragsgestaltungen, denn die sündenbockrolle ist wohl bekannt, und dagegen sollte man sich vertraglich entsprechend absichern und emotional gewappnet sein.
Andreas (Mittwoch, 22 März 2017 19:13)
Vielen Dank für diesen fundierten Artikel. Er hat mir Klarheit über meine Situation verschafft und möglich Hilfestellungen erläutert.
Monika (Mittwoch, 17 Januar 2018 21:40)
Sündenböcke brauchen Menschen, die keine Verantwortung übernehmen wollen oder können.
Wie bei jedem Sündenbockfall gibt es Täter und es gibt Opfer. Ändert man jedoch die Sichtweise, wird aus dem Täter das Opfer und umgekehrt.
Liebe Grüße
Monika
Alexandra (Montag, 01 März 2021 09:13)
Der Artikel trifft meine Erfahrungen. 4 männliche Führungskräfte und 1 Frau. "Mach dich klein, damit der andere gross dasteht"- so das Motto d Personalleitung (der nebenbei infolge eiber rechtskräftigen Verurteilung auf diesem Versorgungsposten eines stadteigenen Betriebes landete). Mir blieb nichts anderes als zu gehen. die Führungsschwächen bleiben in d Organisation. bis zum nächsten Sündenbock....